Der NABU unterstützt grundsätzlich die Abkehr von der Atomenergie sowie den fossilen Energieträgern und den damit verbundenen Ausbau der regenerativen Energien wie der Windenergie. Von daher begrüßen wir ausdrücklich die Bemühungen des LK Cuxhaven, dem Ausbau der Windenergie im Landkreis angemessen Raum zu verschaffen und durch Ausweisung von Vorrangstandorten mit Ausschlusswirkung in geordnete Bahnen zu lenken. Gegenüber dem Entwurf 2014 begrüßen wir dabei ganz besonders, dass nunmehr das Urteil des BGH zur Abgrenzung von Windparks (Spitze Rotorblatt statt Fundament) zur Kenntnis genommen und im Abschnitt 4.2.2 Ziffer 6 umgesetzt wurde.
Mit einer großen Anzahl von Windparks, die seit mehr oder minder langer Zeit in Betrieb sind, im Bau befindlich sind oder zum Repowering anstehen, leistet der LK Cuxhaven bereits heute einen sehr bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz, der aber mittlerweile an seine Grenzen stößt.
Generell interpretieren wir die Unterlagen dahingehend, dass der Ausbau der Windenergie im Landkreis Cuxhaven bereits jetzt seine Kapazitätsgrenzen weitgehend erreicht hat. So wird auf S. 4 mit entwaffnender Ehrlichkeit eingestanden, dass bei Anwendung der Kriterien des Niedersächsischen Landkreistages (NLT) – die weithin anerkannt und fachlich begründet sind und sich zudem als gerichtsfest erwiesen haben – der Windenergie im Landkreis Cuxhaven nicht mehr substanziell Raum verschafft werden kann. Die hier praktizierte Vorgehensweise, die angelegten Kriterien nicht fachlich zu begründen, sondern ein Ausbauziel vorzugeben und die Kriterien dann soweit herunterzuschrauben, bis das angestrebte Ziel erreicht werden kann, wird u.E. über kurz oder lang zu einem erneuten Scheitern vor dem Verwaltungsgericht führen. So empfiehlt der NLT ebenso wie die Länderarbeitsgemeinschaft der Staatlichen Vogelschutzwarten (LAG-VSW) beispielsweise bei Vogelbrutgebieten nationaler Bedeutung einen Puffer von mind. 1 200 m, im LK Cuxhaven müssen 200 m ausreichen; der von NLT und der LAG-VSW empfohlene Puffer von mind. 1 200 m für Vogelrastgebiete von internationaler oder nationaler Bedeutung wird vom LK Cuxhaven auf 500 m reduziert; der vom NLT für Brutvogellebensräume landesweiter oder regionaler Bedeutung empfohlene fachliche Vorsorgeabstand von ebenfalls mind. 1 200 m wird gar vollständig gestrichen. Wer die hier ansässigen Brut- und Rastvögel entsprechend trainieren soll, bleibt unbeantwortet.
Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Kritikpunkte. So sind die verwendeten bzw. zur Verfügung stehenden Daten insbesondere zu betroffenen Biotoptypen und ganz besonders zu Brut- sowie Gast- und Zugvögeln eindeutig unzureichend. Im Hinblick auf die Darlegungen zu noch erforderlichen Daten ist eine durchgängige Ausweisung von Vorrangstandorten mit Ausschlusswirkung oder von bauleitplanerisch gesicherten Bereichen nicht möglich. Allenfalls zulässig wäre diesbezüglich die Ausweisung von Eignungsgebieten bzw. von Gebieten mit Artenschutzvorbehalt. Eine grundsätzliche Konfliktverlagerung auf nachgeordnete Planungs- und Zulassungsebenen, wie sie hier erfolgt, ist nach unserer Auffassung nicht zulässig und stellt einen grundsätzlichen Mangel dar. So gibt es bei mehreren Windparks z.B. erhebliche Widersprüche zwischen der naturschutzfachlichen Einschätzung und den sonstigen Unterlagen (z.B. WP Bramstedt). Die Eignung der Gebiete hätte durch den Landkreis hinreichend geprüft worden sein müssen, um ein Vorranggebiet mit Ausschlusswirkung bzw. ein Repowering in „bauleitplanerisch gesicherten Bereichen“ begründen zu können.
Diesbezüglich nicht erklärbar ist die Einbeziehung von bauleitplanerisch gesicherten Bereichen für das Repowering, wenn dort noch gar keine Anlagen vorhanden sind (z.B. WP Geversdorf/Oberndorf, WP Bramstedt und südl. Teilflächen vom WP Schottwarden).
Allesamt sind dies nicht verantwortbare Festlegungen von WP-Arealen, teils nach eigener Einschätzung des Landkreises, teils aufgrund der gegenwärtig absolut unzureichenden Datenlage.
Besonders erklärungsbedürftig ist auch die vor nicht allzu langer Zeit erfolgte Genehmigung des F-Plans zum WP Geversdorf/Oberndorf auf derselben Datengrundlage, die der Landkreis selbst zuvor als so unzureichend eingestuft hatte, dass er die BImschG-Anträge für dieselben Flächen abgelehnt hatte. Nicht zutreffend ist auch die Argumentation auf S. 46, dass dieser Park nicht „überdimensioniert“ sei.
Die vorhandenen Anlagen auf dem angrenzenden Stader Kreisgebiet werden einfach ausgeblendet, eine – eigentlich erforderliche – Ergänzungsbetrachtung der geplanten Erweiterung in diesem Gebiet fehlt. Dies steht in Widerspruch zu der sonstigen Vorgehensweise innerhalb des Kreisgebietes, wonach sich optisch ergänzende Windparks als zusammenhängend betrachtet werden.
Abgesehen davon ist schon auf Basis der eigentlich unzureichenden Datenlage (s.o.) nach eigenem Bekunden des LK Cuxhaven im Bereich dieses WPs von einem „wertvollen Vogellebensraum“ auszugehen. Insofern ist die Ausweisung und insbesondere die bereits erfolgte F-Plangenehmigung nicht begründbar, zumal auch in keiner Weise von einem Repowering gesprochen werden kann, wenn noch keine Anlagen auf dem Kreisgebiet vorhanden sind.
Ebenfalls unverständlich und aus Sicht des NABU nicht zu begründen ist die Genehmigung des F-Plans zum WP Bramstedt (s. hierzu die naturschutzfachliche Beurteilung des LK Cuxhaven).
Auch bezüglich des WP Schottwarden wird verkannt, dass der ausgewiesene bauleitplanerisch gesicherte Bereich derzeit überhaupt nicht vollständig in Nord-Süd-Richtung mit WEA belegt ist.
Ein Repowering – und dann noch mit 15 %iger Erhöhung der bestehenden Rotorfläche – stellt durch massive Höhenzunahme und Erweiterung der Nord-Süd- Ausdehnung eine erhebliche Problemverschärfung in Hinblick auf die Interaktionen im bzw. vom und zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer dar. Die vorgelegte Begründung im RROP (z.B. S. 65) stellt diesen Aspekt völlig falsch dar und geht nicht nachvollziehbar von einer „abnehmenden Barrierewirkung“ aus. Zudem ist die Erhöhung um den Betrag von 15 % willkürlich gesetzt bzw. ausschließlich mit dem Interesse der Investoren begründet; eine fachliche Begründung fehlt (und ist wohl auch nicht möglich).
Hinzu kommt, dass die im Umweltbericht Teil C (ab S. 215) konstatierte Aussage, dass für die bauleitplanerisch gesicherten Bereiche im LK Cuxhaven die gleichen Maßstäbe für die Überprüfung angelegt wurden wie für die Vorranggebiete, für mehrere WPs unzutreffend ist. Unter Spiegelstrich 2 auf S. 215 wird angeführt, dass FFH- und Vogelschutzgebiete/Nationalpark inkl. eines Pufferbereichs (gemäß Begründung auf S. 12 „NP und 500 m Puffer“) berücksichtigt worden seien. Im Falle des WP Schottwarden (S. 65) beträgt der Abstand aber nur 100-200 m und auch im Falle des WP Padingbüttel wird der Abstand von 500 m zum Nationalpark erheblich unterschritten.
Zudem können laut Umweltbericht Anhang 2 (S. 2ff) für die Standorte Misselwarden, Cappel-Neufeld, Spieka-Neufeld, Padingbüttel und Schottwarden erhebliche Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebietes Nieders. Wattenmeer nicht ausgeschlossen werden. Die Ausweisung dieser Standorte - insbesondere Schottwarden und Padingbüttel – ist insoweit nicht herleitbar und verantwortbar.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auf das Umdenken im Windenergieland Schleswig-Holstein. Hier werden mittlerweile für das Repowering von Windparks, die aus heutiger Sicht zu nahe am Nationalpark stehen, Flächen zur Rückverlegung dieser WPs im Hinterland raumordnerisch gesichert.
öllig unberücksichtigt bleibt auch die aus landesweiter Sicht hohe Bedeutung der Binnendeichsflächen entlang des Wurster Seedeichs für die in Niedersachsen vom Aussterben bedrohte Wiesenweihe. Zumindest zwischen Misselwarden im Süden und Spieka-Neufeld im Norden besteht ein Dichtezentrum für diese Art, das seit vielen Jahren konkret belegt ist. Die erhebliche Tötungsgefahr für Wiesenweihen wird in den vorgelegten Unterlagen (Umweltbericht Anhang 2) eindeutig unzureichend gewürdigt.
Zusammenfassend kommen wir zu dem Schluss, dass die Ausweisung dieser Bereiche nicht zu rechtfertigen ist, insbesondere auch in Anbetracht der derzeitigen Höhenfestsetzung in den rechtsgültigen F-Plänen. So genehmigte die damalige Bezirksregierung Lüneburg den F-Plan der Gemeinde Nordholz für den Bereich Cappel-Neufeld erst nach jahrelangem Zögern unter der klaren Maßgabe, dass eine Verträglichkeit mit den Schutzgütern des NP Nieders. Wattenmeer nur bei einer Höhenbegrenzung von u.W. <55 m Gesamthöhe gegeben sei.
Nicht zu rechtfertigen ist auch, dass wesentliche Sachverhalte wie die (bereits erheblich gegenüber den Standards des NLT und der LAG-VSW abgesenkten) Abstandsempfehlungen zu bedeutenden Gast- und Brutvogelgebieten bei den allermeisten der ausgewiesenen Gebiete weitgehend unberücksichtigt bleiben, nämlich bei den „bauplanerisch gesicherten Bereichen“. Dies ist in Anbetracht der bereits erwähnten mangelhaften Datenlage und der z.B. im Umweltbericht Teil C, S.9 aufgezeigten erheblichen Umweltauswirkungen für eine Vielzahl von Gebieten – 12 von 13 Vorranggebieten und 33 von 35 bauleitplanerisch gesicherten Bereichen! – völlig unverständlich. Damit wären in fast allen Gebieten die für die Errichtung von raumordnerisch relevanten WEA grundsätzlichen, bereits erheblich abgesenkten Maßgaben (weiche Tabuzonen) nicht von Relevanz – die Ausnahme würde zur Regel!
Diese Verfahrensweise ist aus Naturschutzsicht nicht akzeptabel, zumal artenschutzrechtliche Belange nicht abwägbar sind und die sich hieraus ergebenden Eingriffsfolgen in keiner Weise sachgerecht abgearbeitet werden können, da weder die erforderlichen Flächen zur Optimierung verfügbar sind noch die Bereitschaft der Investoren zur Umsetzung von Maßnahmen in der erforderlichen Größe und Qualität vorhanden sein dürfte. Folge ist die Zuspitzung der Auseinandersetzungen auf der Ebene der Genehmigungsverfahren. Angeführt werden als Abwägungsgrundlage durchgehend die Interessen der Investoren und der Grundeigentümer. Eine sachgerechte Würdigung der naturschutzfachlichen und artenschutzrechtlichen Belange findet dagegen auf der Regionalplanungsebene infolge der gegenüber fachwissenschaftlichen Erkenntnissen abgesenkten Standards (z.B. 500 statt 1 200 m Pufferzone bei FFH-/Vogelschutzgebieten, s.o.) und Verlagerung der Auseinandersetzung mit naturschutzfachlichen Belangen in nachgeordnete Verfahrenswege nicht statt.
Zu hinterfragen ist auch die noch in den letzten Monaten während der Aufstellungsphase dieser RROP-Fortschreibung geübte Praxis des LK Cuxhaven, F-Pläne zu genehmigen und Genehmigungen für Gebiete zu erteilen, denen nach den durch den LK selbst gesetzten Maßgaben (harte/weiche Tabuzonen) kein Vorrangstatus zugemessen werden konnte (z.B. WP Köhlen-Brockoh, WP Lunestedt, WP Appeln und mehr).
Zu Auswirkungen auf das Landschaftsbild. Die Ausführungen in Kap. 2.6 im Umweltbericht Anhang 1 stehen in Widerspruch zu den Ausführungen in den Kap. 2.6.2, 2.6.3 und 2.6.4, Die aufgeführten Schutzkriterien in 2.6 werden in den nachfolgenden Abschnitten wieder verworfen. Mit Verweis auf den Planungsmaßstab werden dann die einzelnen zu berücksichtigenden Faktoren als nicht erheblich für die Regionalplanungsebene bzw. in Abhängigkeit von den konkreten Planungen der Anlagen dargestellt. Nach Auffassung des NABU wird diese Vorgehensweise dem eigenständig zu berücksichtigenden Schutzgut ‚Landschaftsbild‘ eindeutig nicht gerecht. Besonders herausragende Landschaftsstrukturen wie gehölzfreie Marschen, Flussniederungen, prägnante Geesthangbereiche, naturnahe Landschaftsareale u.ä. sind auch über die (vor langer Zeit erfolgte) Ausweisung als LSG hinaus von schutzwürdigem Charakter. Diesbezüglich findet das Schutzgut Landschaftsbild im vorliegenden RROP-Entwurf jedoch keine Beachtung. Die lediglich angesprochene „Wirkung“ im Rahmen der Ersatzgeldberechnung wird dem Schutzgut nicht gerecht. Auch trifft die Darstellung in 2.6.3 nicht zu, wonach größere landschaftlich wertvolle Flächen bei der Planung berücksichtigt seien und eine Inanspruchnahme i.d.R. nicht erfolgen würde. So werden z.B. im Bereich der WP Odisheim und Bramstedt derartige Flächen konkret überplant. Die fehlende Berücksichtigung des Schutzgutes Landschaftsbild wird als erheblicher Planungsmangel angesehen.